Broterwerb

Ich nehme an, es war Anfang 1972, als ein Journalist vom „Stern“ mich anrief. Ich lebte damals, nach Eskapaden, Abenteuern und Abstürzen in den wilden 60ern, in der Wohnung meiner Mutter, mein zweiter großer Gedichtband, „ausgeflippt“, war gerade bei Luchterhand erschienen – damals einer der renommiertestes Verlage der Bundesrepublik. Horst Bingel, seinerzeit eine Größe im Literaturbetrieb und beim Verband deutscher Schriftsteller aktiv, habe mich benannt, und ich möge doch bitte Auskunft erteilen, wie viel Geld ich denn als Jungautor so im Monat verdiene.

Ich brauchte nicht lange zu rechnen: vielleicht eine DMark, sagte ich. Der Mensch vom anderen Stern war mehr als nur verblüfft, ja, er wollte mir nicht glauben, hielt meine Antwort vielleicht für einen Spätachtundsechziger-Scherz. Aber ich hatte die Wahrheit gesagt. Trotz meiner Gedichtbände, die in den Medien poistiv gewürdigt worden waren, war ich ein armer Schlucker und lag meiner Mutter auf der Tasche.

Ich weiß nicht, ob die Recherche jenes Journalisten Niederschlag in einem Artikel gefunden hat, und wenn ja, ob er mich als abschreckendes Beispiel mit aufgenommen hat. Aber das war mir in jenen Tagen auch ziemlich egal. Ich hatte weiß Gott andere Problem, was heißt: wer als Schriftsteller Geld verdienen will, muss sich strecken, muss Klinken putzen gehen, muss sie andienen, oder gar anbiedern.

Die Zeiten zu Beginn der Alternativbewegung und des deutschen Terrors waren anders als heute. Nicht 500.000 Jungdichterinnen und Jungdichter verschicken per e-Mail oder auf dem guten alten Postweg unermüdlich Manuskripte, noch an die kleinste Zeitschrift, um raus zu kommen aus der Anonymität, um womöglich aus einem Hobby Bares zu machen, um also reich, berühmt und begehrt zu werden, durch was auch immer. Damals war die Zahl der Debütanten noch überschaubar. Und wer nur ein Fünkchen Talent hatte, wurde umsorgt und auch umworben.
Was nicht heißt, dass sie durch Schreiben auch existieren konnten. Denn damals wie heute ist, zum Beispiel, mit Gedichten nicht viel Geld zu machen. Für die Verlage war und sind Lyrik-Bände eine Frage des Renommees, aber meistens ein Zusatzgeschäft. Selbst Romancier oder Verfasser von Kurzgeschichten konnten von ihren Büchern nicht leben. Geld verdient wurde mit der Verwertung, also durch Lesungen. Vor allem aber durch Beiträge für den Rundfunk. Dass die Funk-Gewaltigen selbst bei jungen Schriftstellern an die Tür klopften, war eher selten. Und Schreibende, die mal gerade so als Pausenclowns im Literatur-Circus für ein paar Minuten auftreten durften, konnten auch nicht darauf bauen, dass sich Bibliotheken oder Clubs bei ihnen meldeten und darum bettelten, man möge doch ihr Etablissement beehren.
Die Regel war also: wer bekannt ist, wird noch bekannter, denn jeder rennt hinter ihnen her. Wer neu im Geschäft ist, muss selbst sehen, wie er sein Zeug an Mann und Frau bringt.
So war das um 1970, und so ist es auch heute. Nur, wie gesagt, dass damals die Chancen, irgendwo aufzutreten oder im Funk etwas zu platzieren, größer waren als heute. Weil zum einen eben nicht so viele sich um ein Stück vom Kuchen bemühten, und zum anderen alles in allem die Menschen an den Schalthebeln der Medienmacht neugieriger, entdeckungsfreudiger waren.
Wenn ich noch ein bisschen zurück wandere in meinem Schriftstellerleben, also in die Jahre, als bei „Rowohlt“ im Taschenbuch ein Bändchen namens „Primanerlyrik“ erscheinen konnte, von Peter Rühmkorff herausgegeben (das war 1965), dann könnte ich schon nostalgisch werden. Goldene Jahre waren das, im Vergleich zur Hatz im Jahre 2005. Wer was zu sagen hatte, und das literarisch gekonnt, der fand alle, fast alle Türen geöffnet vor. Aufstrebende Verlage, etwa Bärmaier&Nikel (der auch die Satirezeitschrift „Pardon“ herausgab), oder der „März-Verlag“, rannten einem die Bude ein. Jeder noch so kleine auf Papier gebannte Gedankenblitz wurde einem mit Handkuß abgenommen, das Fernsehen, der Rundfunk, sie alle waren fast süchtig auf Neues. Und die fast wie Pilze aus dem Boden schießenden alternativen Kultur-Polit-Clubs hievten einen gerne ins Programm. So konnte ich auch ganz gut leben von meiner Schreibe. Aber an jener Glücksphase für junge deutschsprachige Literatur können jetzige Zustände nicht gemessen werden. Ökonomisch gesprochen: Es gab eine große Nachfrage, und ein kleines Angebot. Heute ist es fast umgekehrt.

Hinzu kam, dass damals viele so etwas wie eine Kulturrevolution witterten. Neuland. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung. Und eine Polarisierung. Die der Moderne, was immer das ist, verpflichteten Verlage standen links und wehrten sich, wie viele Studenten, gegen den Muff von 1000 Jahren, der da unter den Talaren dampfte. Der Aufwind, in dem sie sich sahen, verlieh Flügel auch deswegen, weil ihre Klientel größer wurde. Ich kenne keine statistische Untersuchung, die Zahlen liefern würde, die das belegen, aber von der Erinnerung her meine ich, dass damals sehr viel mehr Bücher gekauft (und gestohlen) wurden, als heutzutage.

Bedarf an Lesefutter, food for brain, war also in Hülle und Fülle vorhanden. Hinzu kommt, ich erwähnte es bereits, dass die Rundfunkanstalten sehr viel mehr Wortprogramme, Hörspiele, Erzählungen, Gedichte, Essays, sendeten, als heute. Im Laufe der darauf folgenden Jahrzehnte hat es hier dramatische Einbrüche gegeben, die etliche Schriftsteller, die sehr gut vom Funk leben konnten (und quasi nebenher Bücher schrieben), zu erheblichen Einschränkungen in ihrem Lebensstil verurteilten, wenn sie nicht gar am Bettelstab landeten bzw. von Leibrenten (wie sie auch der Staat bisweilen vergibt) abhängig wurden.

Persönlich ergab sich ein Durchbruch von mir, als der Saarländische Rundfunk bei mir ein Hörspiel in Auftrieb gab, das eines der längsten war, die bis dahin produziert worden waren. In „Keine Zeit für Trips“ schilderte ich in 3 x 90 Minuten die Odyssee, auf die ich mich Mitte der 60er begeben hatte und die nach einem totalen Zusammenbruch schließlich dazu führte, dass ich den Islam annahm. Für diese 4 ½ Stunden erhielt ich 10.500 DM, damals eine sehr stolze Summe. In der Folge schrieb ich 12 weitere Hörspiele, viele Feature für verschiedene Rundfunkanstalten, dazu Satire-Sendungen, Erzählungen, Lyrik&Musik-Programme, Rezensionen und jede Menge kleine Beiträge für die aufkommenden Service-Wellen wie Pop-Shop etc.

Hinzu kam, dass ich freier Mitarbeiter beim Feuilleton der FAZ wurde und dort alle paar Tage mit Beiträgen vertreten war: Fernsehkritik, Buchkritik, Essays, Gedichte, Kulturkritik zu Veranstaltungen, Glossen. Auch bei der „Welt“, der „Frankfurter Rundschau“ und in der „Süddeutschen“ durfte ich schreiben, von Alternativmedien wie „Pflasterstand“ (Sponti-Postille von Cohn-Bendit und Genossen) oder „Ulcus Molle Info“ des legendären Biby Wintjes gar nicht zu reden (allerdings gab´s dort kein oder kaum Geld).

Begonnen hatte diese Journalisten-Karriere, als Karl-Heinz Bohrer (Merkur), der in der FAZ für die Buchkritik zuständig war, eine Rezension meines Lyrik-Bandes „ausgeflippt“ drucken ließ, in der ich als „debil“ beschimpft wurde. Das war mir dann doch ein bisschen zu viel, und so rief ich Bohrer zu Hause an (es war Samstag). Er versprach, in der nächsten Ausgabe, also Montag, eine Entschuldigung zu drucken. Und so geschash es auch. Ein paar Tage später erhielt ich von ihm ein Buchpäcken mit ein paar lapidaren Zeilen: wenn ich wolle, möge ich das Büchlein besprechen, dafür gebe es 100 DM, wenn nicht, sollte ich´s vergessen.

Ich überlegte nicht sehr lange, schrieb die Rezension, und so kam der Ball in´s rollen. Rund 8 Jahre lang hatte ich also über mangelnde Arbeit nicht zu klagen und nahm zudem zunehmend mehr Geld ein. Bücher aber konnte ich keine veröffentlichen, nur für Lyrik hatte ich noch Zeit, und die war Luchterhand zu abgehoben.Klaus Röhler schrieb mir zu einem Manuskript: „Wir sind ein politischer Verlag und wollen das auch bleiben“. Bei anderen Verlagen wurde ich erst gar nicht vorstellig. Ich hatte genug zu tun.

Dies alles zu schildern macht für diesen Artikel wenig Sinn, wenn nicht durchschiene, auf was man sich einlässt, wenn man beginnt, oder beginnen muss, für die Medien zu schreiben. Zum einen, klar, für längere Texte, also Romane, ist zu wenig Zeit. Man hat ja täglich sein Soll zu erfüllen. Sprich: kein Tag ohne einen Artikel für eine Zeitung, oder einen Text für den Rundfunk. Mag sein, dass andere das besser in den Griff kriegen. Jene also, die morgens um 6 aufstehen, dann 2 Stunden an ihrem Roman arbeiten, und sich erst dann auf den Broterwerb konzentrieren. Ich aber führte eine umfangreiche Korrespondenz, so etwa 2000 Briefe pro Jahr (eine zeitlang habe ich meine Briefe durchnummeriert, und anhand der Durchschläge, die jetzt im Archiv schlummern, ist es mir möglich so genaue Zahlen anzugeben)